Home GerichtsentscheidungBGH BGH, Urteil v. 2.07.1992, III ZR 84/91 | Schiedsverfahren: Rechtliches Gehör

BGH, Urteil v. 2.07.1992, III ZR 84/91 | Schiedsverfahren: Rechtliches Gehör

by Jan Dwornig

Bundesgerichtshof, Urteil vom 2. Juli 1992, III ZR 84/91

Vorinstanz:

OLG Karlsruhe

Relevante Normen:

§ 1041 ZPO
§ 1041 Absatz I Nr. 4 ZPO
§ 1042 ZPO

Nichtamtlicher Leitsatz:

Das Schiedsgericht muss den Parteien Gelegenheit geben, sich zu allen tatsächlichen Erwägungen zu äußern, auf die die Entscheidung des Schiedsgerichts gegründet werden soll.

Gründe:

I.

Das BerGer. ist der Auffassung, der Ag. sei im Schiedsverfahren das rechtliche Gehör nicht zu allen Punkten gewährt worden, weil die Entscheidung des Schiedsgerichts auf vertraglichen Bestimmungen beruhe, die die Ast. mit der Firma B ausgehandelt habe und die der Ag. nicht bekannt gewesen seien; das Schiedsgericht habe vor der Entscheidung dafür sorgen müssen, daß der Text dieser Bestimmungen der Ag. vorgelegt wurde, dies aber nicht getan. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

II. Das Schiedsgericht hat den Anspruch der Ag. auf Gewährung des rechtlichen Gehörs nicht verletzt.

1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Schiedsgerichtsverfahren erfordert, daß das Schiedsgericht das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht; der Schiedsspruch muß sich mit den wesentlichen Angriffs- und Verteidigungsmitteln auseinandersetzen. Zudem müssen die Parteien Gelegenheit haben, sich zu allen tatsächlichen Erwägungen zu äußern, auf die die Entscheidung des Schiedsgerichts gegründet werden soll. Diesbezüglich gelten für in- und ausländische Schiedsverfahren diesselben Regeln. Werden sie verletzt, so ist ein inländischer Schiedsspruch aufzuheben, einem ausländischen die Anerkennung zu versagen, wenn die Entscheidung des Schiedsgerichts auf dieser Verletzung beruhen kann (Senat, NJW 1990, 2199 (2200 f.) = LM § 1044 ZPO Nr. 15 = BGHR ZPO § 1044 Abs. II Nr. 4, insoweit nicht in BGHZ 110, 104, abgedr.). Ein solcher Verstoß ist den Feststellungen des BerGer. nicht zu entnehmen.

2. Das BerGer. stellt nicht fest, daß das Schiedsgericht Beweismittel verwertet hat, zu denen die Ag. sich nicht äußern konnte. Die Ag. hat zwar behauptet, dem Schiedsgericht habe der Vertrag zwischen der Kl. und B vorgelegen, der ihr selbst nicht bekannt sei, und das Schiedsgericht habe diesen Vertrag auch seiner Entscheidung zugrundegelegt, ohne der Ag. Gelegenheit zu geben, von ihm Kenntnis zu nehmen. Das BerGer. hat aber eine dahingehende Feststellung nicht getroffen. Die bloße Behauptung der Ag. und Revisionsbekl. kann der revisionsgerichtlichen Prüfung nicht zugrundegelegt werden; dabei kommt es in  diesem Zusammenhang nicht darauf an, daß die Ag. dafür keinen Beweis angetreten hat. Die Feststellungen des Schiedsgerichts über den Inhalt des Vertrages zwischen der Ast. und B können auf den Zeugenaussagen beruhen, an deren Vernehmung die Ag. teilgenommen hat. Wenn das Schiedsgericht der Auffassung war, aus diesen Aussagen hinreichende Gewißheit über den Inhalt des Vertrages gewinnen zu können, stellte es kein unzulässiges Verfahren und keine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör dar, wenn es der Ast. nicht aufgab, den Text des Vertrages vorzulegen. Der Umstand, daß die Kenntnis des Vertragstextes es der Ag. möglicherweise erleichtert hätte, den Zeugen Vorhaltungen zu machen, die zu einer Änderung ihrer Aussage geführt hätten, reicht für die Annahme einer Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht aus.

3. Das Schiedsgericht hat den Anspruch der Ag. auf rechtliches Gehör auch nicht dadurch verletzt, daß es einen Beweisantrag der Ag. in unzulässiger Weise übergangen hat. Die Ag. hat vorgetragen, sie habe im Schiedsverfahren bestritten, daß in dem Vertrag zwischen der Ast. und B und in dem Vertrag zwischen B und dem libyschen Kunden entsprechende Gewährleistungsvorschriften enthalten gewesen seien, wie in dem Vertrag zwischen den Parteien, und sie habe zum Beweise dessen um Vorlage der Verträge gebeten. Diesem Antrag brauchte das Schiedsgericht jedoch nicht stattzugeben. An der einen Stelle, an der das Schiedsgericht sich mit dem Vertrag zwischen der Ast. und der Firma B befaßt, geht es lediglich um die Wirksamkeit des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags, die die Ag. mit der Begründung in Zweifel gezogen hatte, er sei sittenwidrig, weil danach alle späteren Änderungen und Erweiterungen des Lieferumfangs aus dem Kundenvertrag auch für sie gelten sollten und sie sich damit für alle Zukunft ohne Einschränkung dem Willen eines oder mehrerer anderer unterworfen habe. Dieser Auffassung ist das Schiedsgericht nicht gefolgt. Es hat die Sittenwidrigkeit des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages mit der Erwägung abgelehnt, dieser habe dazu gedient, für die Ast. sicherzustellen, daß sie ihrerseits ihre vertraglichen Verpflichtungen habe erfüllen können. Welche Verpflichtungen die Ast. im einzelnen eingegangen war und dementsprechend die Ag. übernommen hatte, war in diesem Zusammenhang unerheblich, so daß es auf den Inhalt der Verträge zwischen der Ast. und B sowie zwischen B und dem libyschen Kunden insoweit nicht ankam, zumal in Nr. 1.1 des Vertrages vom 11. 6. 1981 über spätere Änderungen des Lieferumfanges eine besondere Vereinbarung zwischen den Parteien getroffen wurde. Daß entsprechende Verträge bestanden, deren Erfüllung auch der Vertrag zwischen den Parteien diente, war und ist zwischen den Parteien unstreitig. An der zweiten Stelle, an der das Schiedsgericht den Kundenvertrag erwähnt, geht es um Anzahlungs- und Gewährleistungsgarantien. Das Schiedsgericht hat bei der Auslegung des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages berücksichtigt, daß auch nach dem Kundenvertrag Anzahlungs- und Gewährleistungsgarantien zu erbringen waren. Dies ergibt sich aber aus dem Addendum (Appendix III Nr. 3 a und f) des Vertrages zwischen der Ast. und B, der der Ag. bekannt war. Im übrigen ist dieser Gesichtspunkt nur einer von mehreren, die das Schiedsgericht zur Begründung seiner Auslegung angeführt hat. Der Senat kann ausschließen, daß es ohne Berücksichtigung dieses einen Gesichtspunktes zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. 4. Die Entscheidung des BerGer. stellt sich auch nicht unter einem anderen Gesichtspunkt im Ergebnis als richtig dar.

a) Die Revisionsgegnerin regt an, zu überprüfen, ob der Auffassung des BerGer. gefolgt werden könne, ein Aufhebungsgrund nach § 1041 I Nr. 1 ZPO liege nicht vor. Insoweit ist dem BerGer. zu folgen. Das BerGer. geht davon aus, das Schiedsgericht habe über die Zulässigkeit seines Verfahrens bereits entschieden und sei dafür auch zuständig gewesen. Es leitet aus der Übertragung der Entscheidung von Streitigkeiten “aus diesem Vertrag“ die Kompetenz des Schiedsgerichts ab, auch über die Wirksamkeit des Vertrages zu entscheiden. Insoweit ist zu unterscheiden:

aa) Ob dem Schiedsgericht durch die Schiedsklausel die Kompetenz-Kompetenz, also die Befugnis eingeräumt worden ist, über die Wirksamkeit und Reichweite der Schiedsabrede mit bindender Wirkung auch für die staatlichen Gerichte zu entscheiden (vgl. zur Zulässigkeit einer Kompetenz-Kompetenz-Klausel Senat, NJW-RR 1988, 1526 = LM § 1025 ZPO Nr. 44 = BGHR ZPO § 1025 Abs. 1 – Kompetenz-Kompetenz-Klausel 1), kann zweifelhaft sein. Darauf kommt es jedoch nicht an. Die Schiedsklausel wird nach Nr. 15 des Vertrages von der Unwirksamkeit anderer Vertragsbestimmungen nicht berührt. Gegen die Wirksamkeit der Schiedsklausel als solcher hat die Revisionsgegnerin keine Bedenken vorgebracht; solche Bedenken sind auch nicht erkennbar.

bb) Über die Wirksamkeit des materiellen Hauptvertrages konnte das Schiedsgericht mit bindender Wirkung entscheiden. Dies hat das BerGer. der Formulierung der Schiedsklausel entnommen. Diese Auslegung läßt Rechtsfehler nicht erkennen (vgl. Senat, NJW 1979, 2567 = LM § 1025 ZPO Nr. 34 = Warn 1979 Nr. 142). b) Auf die weiteren Erwägungen des BerGer., die Ag. habe durch Verhandlung vor dem Schiedsgericht auf die Rüge der Unzulässigkeit des Schiedsverfahrens verzichtet und überdies eine Aufhebungsklage gegen den Zwischenschiedsspruch über die Zulässigkeit des Schiedsverfahrens “versäumt”, kommt es demnach ebenfalls nicht an. Allerdings ergibt sich aus dem Schiedsspruch, daß die Ag. als Schiedsbekl. die Unzulässigkeit des Schiedsverfahrens geltend gemacht hat. Auch aus der “Versäumung” der Aufhebungsklage gegen den “Zwischenschiedsspruch” ließe sich gegen die Ag. nichts herleiten. Diese Entscheidung des Schiedsgerichts über die Zulässigkeit der Schiedsklage ist weder der Rechtskraft noch der Vollstreckbarerklärung fähig (RGZ 85, 391 (393); 169, 52 (53); LAG Baden-Württemberg, BB 1960, 1021; Schwab, Schiedsgerichtsbarkeit, 4. Aufl., S. 157; Glossner-Bredow-Bühler, Das Schiedsgericht in der Praxis, 3. Aufl., Rdnr. 464). Sie bindet daher nur das Schiedsgericht in dem anhängigen Schiedsverfahren, nicht aber das staatliche Gericht im Verfahren über die Vollstreckbarerklärung.

c) In Betracht kommt allerdings ein Rechtsfehler des Schiedsgerichts insofern, als es durch die Übergehung des Beweisantrags (o. II 3) einen Anspruch der Ag. gegen die Ast. auf Gestattung der Einsicht in die Urkunde über den Vertrag mit der Firma B verletzt haben könnte. Ein solcher Anspruch kann im Prozeß von der Bekl. nicht nur durch Widerklage, sondern auch im Wege eines Beweisantrages geltend gemacht werden (vgl. RGZ 56, 109 (112)). Ein Anspruch der Ag. gegen die Ast. auf Gestattung der Einsicht in den Vertrag zwischen der Ast. und der Firma B ergibt sich allerdings nicht aus § 810 BGB. Diese Vorschrift setzt voraus, daß die Urkunde, deren Einsicht verlangt wird, im Interesse des die Einsicht Verlangenden errichtet worden ist oder daß in ihr ein zwischen ihm und einem anderen bestehendes Rechtsverhältnis beurkundet ist oder daß sie Verhandlungen über ein Rechtsgeschäft enthält, die zwischen ihm und einem anderen oder zwischen einem von beiden mit einem gemeinschaftlichen Vermittler gepflogen worden sind. Keine dieser Voraussetzungen liegt vor. Ein Anspruch auf Gestattung der Einsicht könnte sich dagegen aus dem zwischen der Ast. und der Ag. geschlossenen Vertrag ergeben. Da bei der Umschreibung der von der Ast. übernommenen Verpflichtungen ausdrücklich auf den Kundenvertrag zwischen B und dem libyschen Kunden Bezug genommen ist, kann die Ast. nach Treu und Glauben verpflichtet sein, der Ag. die Einsicht in diesen Vertrag und in den zwischen der Ast. und der Firma B bestehenden Vertrag zu gestatten. Ob dies der Fall ist, kann aber letztlich dahinstehen; denn eine Verletzung dieses Anspruchs durch das Schiedsgericht könnte nicht zur Ablehnung der Vollstreckbarerklärung und zur Aufhebung des Schiedsspruchs führen. Die Verpflichtung des Prozeßgegners zur Vorlegung einer Urkunde hängt davon ab, ob ein materiellrechtlicher Anspruch auf Vorlegung der Urkunde besteht (vgl. § 422 ZPO). Lehnt das Schiedsgericht einen Antrag, die Vorlegung einer Urkunde durch den Prozeßgegner anzuordnen, ab, weil es einen dem Ast. zustehenden materiellrechtlichen Anspruch verkennt, so beruht diese Entscheidung ebenso auf einem materiellrechtlichen Fehler wie die rechtsirrige Abweisung einer auf Vorlegung der Urkunde gerichteten Widerklage. Es handelt sich daher um einen error in iudicando, nicht um ein unzulässiges Verfahren.

III.

Das Berufungsurteil kann daher mit der gegebenen Begründung nicht bestehen bleiben. Der Senat kann in der Sache selbst abschließend entscheiden, weil das Berufungsurteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis aufgehoben wird und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 565 III Nr. 1 ZPO). Weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf es nicht. Die Ast. hat eine Vermutung geäußert, deren Wahrheit eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör begründen würde, daß nämlich der Vertrag zwischen der Ast. und B dem Schiedsgericht vorgelegen habe und von ihm zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht worden sei, ohne daß ihr Gelegenheit gegeben worden sei, diesen Vertrag, der ihr nicht bekannt gewesen sei, einzusehen. Ob die Ag. insoweit eine dem Beweis zugängliche Behauptung aufgestellt hat, kann dahinstehen; denn die Ag. hat für die von ihr vermutete Tatsache keinen Beweis angetreten. Die Ast. hat dieses Vorbringen der Ag. zwar nicht expressis verbis bestritten; unter den gegebenen Umständen kann aber nicht angenommen werden, daß sie die Richtigkeit des in der von der Ag. geäußerten Vermutung liegenden Vorwurfs nicht bestreiten wollte.

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